Wir sollen Abstand halten, sagen die Behörden und das sagt auch, so vorhanden, die Vernunft. Eben jetzt, wo ich dies schreibe, sagt das auch die Chefin im Fernsehen. Und wir tun das ja auch überwiegend, sofern wir vernunftbegabt sind, fast schon routiniert.
Auf der Straße machen die Menschen im Vorbeigehen einen kleinen, gar nicht mal uneleganten Bogen umeinander, treten in Parklücken, um Entgegenkommende passieren zu lassen, oder wechseln die Straßenseite. Vor wenigen Wochen noch hätte das unhöflich gewirkt. Heute kann das nach einer geradezu hübschen Choreografie aussehen. Hin und wieder muss man sogar auf die Straße treten, wenn der Gehweg zu eng ist. Ich hoffe sehr, dass es dabei nicht zu folgenschweren Unfällen kommt, sonst muss noch in den Tabellen, die die Corona-Toten in ein Zahlenverhältnis zu anderen Todesursachen setzen, eine neue Zeile aufgemacht werden. Solche Tabellen finden sich auf Fakebook, Telegram und anderen Presseerzeugnissen und über Freundinnen, Bekannte und vor allem Verwandte gelangen sie auch zu mir und vermutlich auch sonst überall hin. Die Mainstream-Medien verheimlichen so was natürlich, denn das Resultat dieser Statistik für Fortgeschrittene lautet: Natürlich sterben viel mehr Menschen anderen Tode. Wie gesagt, Corona ist eigentlich nur die kleine Schwester des gemeinen Hausschnupfens.
Es sind die gleichen einfältigen Statistiken, die bei anderer Gelegenheit gegen Fahrradhelme, Sicherheitsgurte oder FSME-Impfungen bemüht werden. Hätte es früher auch nicht gegeben – und hatte man nicht dennoch überlebt?
Mir selbst fällt es nicht schwer, 1,5 Meter Abstand zu meinen Mitmenschen einzuhalten. Anderthalb Meter – das entspricht ziemlich genau meinem persönlichen Distanzbedürfnis zu den meisten Leuten. Und glücklicherweise muss ich nur sehr selten in Gebäuden fünf Stockwerke oder höher, ich muss mich also nicht zwischen der Enge im Aufzug und der Weiträumigkeit im belüfteten Treppenhaus entscheiden.
Nur das Murmeltier hat mit Abstandhalten nun überhaupt nichts am Hut – den es im Übrigen besonders gerne, seine alpenländische Herkunft betonend, mit Gamsbart trägt und zum Grüßen etwas geziert, aber doch formvollendet lüftet. Es rückt mir ständig auf die Pelle.
„Drei Murmeltierlängen Abstand bitte!“, sage ich. „Außerdem stinkst du wie ein Hamsterkäfig – statt dem Hut solltest du lieber mal dich selbst ein bisschen lüften“.
Das Murmeltier guckt beleidigt. „Des Hutes, wenn schon. Genitiv – kennste, oder?“
Gestern ist es sogar in meinem Rücken ins Bücherregal geklettert, nur um mir in einem unaufmerksamen Moment von hinten den Kopf auf die Schulter zu legen und mir feucht-säuerlich ins Ohr zu säuseln:
„Gott zum Gruße, alter Freund!“