Die Atemschutzmasken, die sich jetzt in allen Schaufenstern stapeln – man hat sich an den Anblick gewöhnt, obwohl sie viele Menschen immer noch mit diesem Ausdruck tragen, als hätten sie eben erst eine seltene Immunerkrankung überstanden und trauten sich nun erstmals vorsichtig wieder ins öffentliche Leben, das ja irgendwie weitergehen muss.
Gerne wird Modell Laschet getragen, und man atmet ja tatsächlich viel besser, wenn der Zinken draußen hängt. Ausschließlich am Kinn getragen wird Variante Bartbinde. Das hält zwar keine Viren ab, weder ein- noch auswärts, schützt aber den gepflegten Bart davor, in nächtlich unruhigen Schlafphasen an Fasson zu verlieren, ein nicht zu unterschätzender Vorteil der Maske, gerade jetzt, wo auch der Barbier nicht mehr dienstbar ist. Ganz lässig lässt man die Maske seitlich am Ohr baumeln – so wie man einen Motorradhelm am coolsten am Ellbogen trägt.
Wer das leidige Stück Stoff aber wirklich tragen kann – abgesehen von den Vietnamesinnen, zu deren Alltagsausstattung das Ding auch vor Corona schon gehörte –, bei wem es zur schmucken Profi-Montur zu gehören scheint, nur ein paar Jahrzehnte in Vergessenheit geraten, das ist ein bestimmter Schlag Männer über 50. Man kennt sie als Plattenladen-Inhaber, Lehrer für Gesellschaftskunde, Betreiber einer Fahrradwerkstatt oder Fußballkneipe: lange, graue Haare statt Hipster-Glatze, der Bart so lang, dass eine Nudel ein paar Tage unbemerkt bleiben kann, das Bäuchlein unkaschiert unter Jeansjacke und St.-Pauli-Shirt. Und das schwarze Tuch so vom Kinn bis über die Nase gezogen, dass es an die Gebrüder Dalton erinnert, oder an die frühen 80er-Jahre, Easy Rider, Hofgarten Bonn, Friedensdemo, Brockdorf, Mutlangen und Hausbesetzerpartys, Berlin am 1. Mai. Auch mein Buchhändler hätte nicht gedacht, dass er das kleine Schwarze noch einmal tragen würde. Aber immerhin hatte er es noch und trägt es jetzt mit Fassung. Und etwas Stolz.
„Was ist das, Hausbesetzer?“, fragt mich das Murmeltier.
„Das sind Leute, die sich ungefragt in anderer Leute Wohnungen einnisten“, antworte ich.
„Aahhh“, sagt das Murmeltier und zieht sein schwarzes Halstuch wieder bis kurz unter die Augen. „Ich wusste nicht, dass es ein Wort dafür gibt.“