Glücklicherweise sind wir vor ein paar Monaten hoch auf den Berg gezogen, gut hundert Meter über dem Rhein. Das Murmeltier hat zwar kein eigenes Zimmer bekommen, auf das es so scharf war, aber seine Schlafkaule ist jetzt in einer kuscheligen Ecke im Flur untergebracht, nicht mehr unter meinem Schreibtisch.
Ich hatte mich schon gewundert, dass es nach kurzem Gemecker damit einverstanden war – aber tatsächlich wohnt es jetzt überwiegend im Zimmer meiner Tochter, die auswärts studiert, sodass das Zimmer meist frei ist. Mit eigenem Bad. Könnte es ruhig mal benutzen, der kleine Stinker.
Aber jetzt sitzen wir halt in meinem Büro unterm Dach und schauen nach draußen, wo es seit Stunden derartig plästert – man könnte meinen, der Rhein hat uns den Umzug weg von seinen väterlichen Ufern und rauf auf die Höhe persönlich übel genommen und ist nun fest entschlossen, höchstselbst vorbeizuschauen und uns die Meinung zu geigen. Mit tatkräftiger Unterstützung der Ahr und anderer lokaler Rinnsale mit Hang zum Größenwahn wie Breitbach, Bruchhauser Bach, Kasbach und wie sie alle heißen, diese Kleingewässer mit Wasserträgermentalität.
„Kann Corona eigentlich schwimmen?“, fragt das Murmeltier und streckt mir seine eben aufgeploppte Bierflasche entgegen.
„Es soll ausgezeichnet kraulen, heißt es“, sage ich und stoße – „Prost, mein Alter!“ – an.
Sondersendungen im Fernsehen, nicht nur im dritten, lokalen Programm. Die Feuerwehr im Landkreis kommt gar nicht mehr nach Hause. Das ist allerdings alles drüben, auf der anderen Rheinseite. Zahllose Einsätze, um Keller, Erdgeschosswohnungen und Mansarden leer zu pumpen, all das Wasser, bis unters Dach.
„Warum eigentlich die Feuerwehr? Ist die nicht für um Feuer zum Löschen?“, fragt das Murmeltier. Fundiertes Viertelwissen, wie gesagt, noch dazu in grässlichem Satzbau.
„Dein Ernst?“, frage ich zurück. Ich habe seine Fortschritte in Alltagswissen nach knapp eineinhalb Jahren womöglich überschätzt. „Die Feuerwehr wird in allen möglichen Notlagen gerufen. Wenn Katzen auf Bäume geklettert sind und nicht mehr runter können, zum Beispiel.“ Das Murmeltier findet Katzen doof, weil die wo rauf klettern, wo sie nicht wieder runter kommen. Ein Großnager würde sowas nicht tun. „Und sie pumpen auch bei Überschwemmungen, was das Zeug hält.“
„Ach was“, sagt das Murmeltier. „Naja, macht ja auch Sinn“, fährt es nach einer Weile nachdenklich fort. „Jetzt haben sie auf alle Fälle reichlich Wasser, wenn sie ein andermal wieder löschen müssen.“
(Mitte Juli 2021 hat sich ein Starkregengebiet über Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz festgesetzt und will nicht weiterziehen. In weiten Teilen Europas, hier insbesondere von Hagen in Westfalen bis Trier, vor allem aber an Ahr und Erft gibt es verheerende Flutkatstrophen mit rund 150 Toten. In Mitteleuropa. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Geschichte sah es noch nur nach besonders schlechtem Wetter und nach Hochwasser aus, wie man es hier halt kennt, wenn auch besonders heftig.
Ich hätte keine Schnurre draus gemacht, wenn mir das Ausmaß dieser Katastrophe, die mit Extremwetterereignis auch nur behördlich passend umschrieben ist, bereits bekannt gewesen wäre. Vielleicht schmeiße ich sie auch wieder raus. So toll ist sie ja letztlich auch nicht geworden.)