Unser Nachbar hält Hühner, etwas mehr als drei. Und – seit ein paar Tagen – ein stolzer Hahn dabei. Ich wollte es zunächst nicht glauben, als ich mich eines Morgens in der Aufwachphase noch im Traum wähnte, dann aber feststellen musste, dass wirklich ein Hahn nach mir krähte.
Da hing das Murmeltier schon eine Weile mit zornblitzenden Augen am offenen Fenster und schimpfte laut auf den Hof runter, ob dem Federvieh denn gar nichts heilig sei, „nicht mal mein Winterschlaf. Hier gibt es schließlich arbeitende Leute, die ihren Schlaf brauchen!“
Seit wann es sich denn zu den Leuten rechne, frage ich gähnend, und was es genau mit Arbeit meine. Zudem könne es nicht erwarten, dass alle Welt den ganzen Winter über auf seinen Schlaf Rücksicht nehme. „Und noch etwas: Wir wohnen hier auf dem Haanhof, da musstest du früher oder später damit rechnen.“
Das Murmeltier sieht mich unwesentlich befriedet an, noch immer funkeln seine Augen. Irgendetwas scheint in ihm zu arbeiten, ich seh die Gedanken förmlich sich durch die Windungen zwischen seinen Ohren kämpfen. Vermutlich ist es aber einfach noch zu verpennt oder kognitiv und orthografisch überfordert, den Zusammenhang von Haanhof und Hahn zu erfassen, und bevor es zu einem Ergebnis kommt, sinken die Lider wieder auf Halbmast und wenig später rollt es sich zurück in seine Schlafkaule. Es schnarcht bereits, während es sich noch in eine bequeme Schlafposition zurechtruckelt.
„Das war ein Scherz“, erkläre ich noch, „ein Wortwitz.“
Caruso kräht seither jeden Morgen, wie es sich für einen echten Haan – sorry: Hahn gehört. Und jeden Morgen gerät das Murmeltier für ein paar Minuten außer sich. Vor drei Tagen hat es seinen Winterschlaf für definitiv beendet erklärt – was ich bedauere, aber es ist ja auch schon Mai – und umschleicht jetzt regelmäßig auf dem Hof das Hühnergatter, zeigt dem Hahn die Zähne und zischt ihm irgendwas zu. Ich habe allerdings den Eindruck, dass Caruso dann eher lacht, aber ich bin mir nicht sicher. Bei Hühnern klingt das alles irgendwie gleich. Gestern hat das Murmeltier sogar mit dem Hofhund Polly getuschelt, dem es normalerweise lieber aus dem Weg geht, und dabei zu den Hühnern rüber gedeutet. Polly würde aber keiner Fliege was zuleide tun, viel weniger einem Hahn.
Jetzt zetert das Murmeltier wieder mit mir, ich solle etwas unternehmen. Wenn das so weiter gehe, könne es für nichts garantieren. „Caruso oder ich!“, droht es. „Hier ist nur Platz für einen von uns.“
Was soll ich sagen? Der Hahn ist noch da.