Zugegeben – ich schlage die Zeitung kaum noch auf, wenn ich diese etwas unmoderne Wendung bemühen darf, weil Ich öffne kaum noch meine Zeitungs-App kein brauchbares Bild erzeugt.
Ich überfliege die Schlagzeilen, lese hier und da ein bisschen, aber eher die Popkolumne oder Literaturkritik. Es ist im Grunde wie vor rund vier Jahren: Als der neue US-Präsident sein Amt, oder sagen wir ruhig seine Regentschaft antrat, da verfolgte man mit diesem ungläubigen Gruseln und grenzenloser Fassungslosigkeit im Wechsel mit nacktem Entsetzen die täglichen Meldungen über seine Aussetzer, Anstandslosigkeiten, Errata und Lügen in Verbindung mit steigenden Beliebtheitswerten, die an heutige Corona-Kurven im Land ebendieses Herrschers erinnern. Man hoffte eine Weile auf diese oder jene Ermittlungsverfahren – bis man so weit abgestumpft war, dass selbst die hanebüchensten Grotesken nur noch den Kraftaufwand eines Schulterzuckens wert waren.
Zunehmend nimmt nun auch mein Interesse ab, an der Berichterstattung zur Pandemie einerseits, vor allem aber an den Absurditäten, die in meinen persönlichen Nachrichten-Accounts landen. Da sind etwa die, die glauben, wir lebten in einem Polizei- und Unterdrückerstaat und wir seien ja sowieso schon immer betrogen worden. Dann die, die ganz sicher sind, dass die Medien uns belügen. Die sind dann aber entrüstet, wenn man ihnen Pegida-Affinität vorwirft. Andere glauben, dass 5G, die Freimaurer und natürlich Bill Gates dahinterstecken und uns nichts Gutes wollen. Da sind die, die etwas von Zwangsimpfung wissen, von der noch nie die Rede war. Und dass das Virus – keine Angst vor Widersprüchen – zudem völlig harmlos ist und dass die Bilder aus New York und Norditalien aus Hollywood kommen, weil die da sonst nichts mehr zu drehen haben. Das mit den Chemtrails wissen Sie vermutlich bereits. Und es soll ja sogar Menschen geben, die die Erde für eine Kugel halten.
Das Murmeltier will jetzt spielen.
„Jetzt nicht“, sage ich, denn ich bin noch nicht fertig mit meinem Genörgel. Meine Ratlosigkeit will noch ein wenig Aufmerksamkeit – dabei sollte ich mich an sie gewöhnt haben, schließlich sind schon seit ein paar Jahren die Nachrichten immer weniger von ihren Parodien zu unterscheiden.
„Was denn?“, frage ich dann aber doch aus angeborener Freundlichkeit nach.
Das Murmeltier öffnet mit angedeutetem Lächeln seine Klauen und zeigt mir die bunten, kleinen Glaskugeln, die es im Keller gefunden hat.
„Murmeln – klar“, nicke ich. „Hätte ich mir denken können.“