Im Radio spielen sie Leonard Cohen. Die Zeilen fließen warm durch mein kaltes Frühstück: If you want a lover, I'll do anything you ask me to. Ich gebe mich einer besinnlichen Grundstimmung hin, wie es dem Lied angemessen ist.
Das geht beim Frühstück am besten, weil mir die Morgensonne in den Kaffee scheint und das Murmeltier noch schläft und ich folglich meine Ruhe habe. Die morgendliche Versenkung in den Song geht allerdings nicht gut aus. Sie lindert zwar meine milde Form einer Corona-Depression, die mich gelegentlich etwas antriebslos macht, aber weil ich nicht richtig aufpasse, lande ich mental plötzlich im November 2016, als innerhalb weniger Tage Amerika einen neuen Präsidenten wählte und Leonard Cohen starb. Was für eine beschissene Woche war das. Hätte es nicht umgekehrt sein können? Nicht dass ich Künstler in Regierungsverantwortung eine gute Idee finde, aber die Vorstellung hat doch etwas Versöhnliches. Merkwürdige Dinge können einen beschleichen, wenn man sich unkontrolliert einer besinnlichen Grundstimmung hingibt.
And if you want another kind of love, I’ll wear a mask for you … Ich weiß nicht genau, welche Art Maske Leonard Cohen in diesem Song für die Angebetete zu tragen bereit ist, nehme mir aber die Freiheit, mir selbst allerlei Arten von Masken für meine Angebetete vorzustellen und wahlweise, wenn auch ohne erotischen Mehrwert zu tragen.
Offensichtlich habe ich das Radio zu laut gedreht – das Murmeltier ist aufgewacht und guckt jetzt böse aus seiner Schlafkaule, wie immer, wenn es geweckt wird. Passiert aber nur selten, weil alle froh sind, wenn es schläft, und demgemäß jeden Lärm vermeiden. Dann sagt es aber freundlich „Guten Morgen“ und ich freue mich so sehr, aus dem November 2016 gerissen zu werden, dass ich gleich mit einem Lächeln antworte: „Guten Morgen, mein Freund! Kaffee?“
Das Murmeltier blinzelt irritiert und fragt: „Alles okay mit dir?“ Und nach einer Weile: „Gerne, ja. Viel Zucker.“
Das mit dem Radio habe ich übrigens nur so gesagt. Das Lied wird nie im Radio gespielt, nicht heute und auch sonst nicht. Von Cohen kennen sie im Radio nur Suzanne und unzählige Kitschvariationen von Hallelujah. Ich musste I’m Your Man selbst auflegen. Das mit dem Murmeltier und dem Kaffee ist natürlich auch geschwindelt, klar. Komplett erfunden, alles fantasiert. Es trinkt nie Kaffee, sondern ausschließlich mein Bier.
Nur der November 2016, das stimmt leider.