Um Energie zu sparen, schließe ich winters normalerweise nach Dunkelwerden die Rollläden, zumal die Fenster im Hause nicht übertrieben dicht sind. In diesen Zeiten aber, so habe ich festgestellt, wenn die Straßen leergefegt sind und die Leute sich in ihren vier Wänden einrichten, ist es doch ganz schön, ein wenig in erleuchtete Fenster zu schauen, wenn schon alle Bühnenkunst gerade ausfallen muss.
Verstehen Sie mich nicht falsch – nicht stalken, nicht spannen hinter der Gardine, aber ein bisschen näher zusammenrücken. Und dann lasse auch ich die Läden offen (wo doch die Geschäfte geschlossen sind – kleines Wortspiel, Sie entschuldigen) und gewähre den Nachbarn familiär Einblick, wenn ich den Tisch decke, mich ins Sofa fläze, durchs Fernsehprogramm zappe oder das Murmeltier kraule, das immer wieder mal für ein halbes Stündchen aus seinem Winterschlaf gekrochen kommt. Juliane findet, ich sollte mich dann wenigstens ordentlich hinsetzen und etwas weniger fläzen, aber ich fläze nun mal gerne ausgiebig, schon weil ich das Wort so fantastisch finde – fläzen! Ich fläze, du fläzt, er, sie, es fläzt. Und die Nachbarn hängen dann auch alle ziemlich hingefläzt in ihren Sofas. Wenn Sie Deutsch als Fremdsprache unterrichten, können Sie mit dem Wort Ihre Schüler ärgern. Und wenn sie an der Aussprache scheitern, können Sie gemein fragen: Warum seufzt ihr?
Manchmal schaue ich dann auch beim Nachbarn fern. Der wohnt zwar auf der anderen Straßenseite, sein Gerät ist aber so exorbitant groß, dass ich von meinem Fenster aus sogar die Untertitel zu seinen amerikanischen Serien lesen kann, die er vorzugsweise im Original schaut. Dann sehe ich aber, wie die Nachbarn von oben drüber mit der ganzen Familie am Fenster stehen und ziemlich ungeniert zu mir rüber schauen, ja geradezu starren, offensichtlich ziemlich erheitert, Daumen drücken, und dann jubeln sie sogar.
Irritiert schaue ich mich um, was denn so lustig ist an dem Ausblick, den ich ihnen biete. Da sehe und höre ich auch schon einen Tennisball hart geschossen in meine Glasvitrine scheppern: Das Murmeltier stellt das Elfmeterschießen von Holstein Kiel gegen den FC Bayern München nach, DFB-Pokal, 2. Runde, und nimmt eben neu Anlauf.
„Hör sofort auf mit dem Mist!“, will ich eben entsetzt ausrufen. „Bist du verrückt?!“
Stattdessen balle ich die Faust zu einer Gewinnergeste und sage: „Tor!“